Ich will zeigen, dass ich die Ansicht von Friedrich Merz nachvollziehen kann – und berichte, was mir genau vor einer Woche passiert ist.
Ich (Konrad Rennert, KR) hatte einen Zahnarzttermin. Nichts Besonderes, eine Routine-Durchsicht, wie ich sie alle ein bis zwei Jahre mache. Mein Zahnarzt begleitet mich schon seit Jahrzehnten – ein Mann mit Migrationshintergrund, der früher in Felsberg praktizierte und vor einigen Jahren nach Kassel umzog, in die Nähe der Leipziger Straße. Ich blieb ihm treu, weil ich mit seiner Arbeit zufrieden war. Keine Schmerzen, keine Probleme – also auch kein Grund, etwas zu ändern.
Die Zahnreinigung machte zuletzt seine Helferin, vermutlich aus der Ukraine. 60 Euro in bar zahlte ich im April, wie in den Jahren zuvor. Damals bekam ich gleich einen neuen Termin für den 13. Oktober um 10 Uhr – also genau heute vor einer Woche.
Ich war ohnehin in Kassel, kümmerte mich um den Garten vor meinem Büro, und fuhr um 9:30 Uhr mit dem Fahrrad zur Praxis. Dummerweise hatte ich mein Fahrradschloss vergessen. Also stellte ich das Rad an der nahe gelegenen Shell-Tankstelle ab. Fahrraddiebstahl ist in dieser Gegend keine Seltenheit. Das Fahrrad unseres chinesischen Mieters wurde am nahe gelegenen Uni-Gelände vor einigen Jahren gestohlen.
In der Praxis angekommen, sprach mich ein Assistent am Tresen auf Russisch oder Ukrainisch an. Vielleicht war er zehn oder zwanzig Jahre jünger als ich. Ich sagte, dass ich noch Deutsch verstehe. Seine Antwort: „Oh, da sind Sie einer der wenigen.“
Ich erklärte, dass ich einen Termin zur Durchsicht habe, gab meine Gesundheitskarte. „Da steht nichts im System“, sagte er, „aber das kriegen wir schon geregelt.“ Ich zeigte ihm ein Schreiben meiner BKK aus Melsungen: 25 Euro Zuschuss zur Zahnreinigung. Er sagte, die Reinigung koste jetzt 85 Euro. Ich sagte: „Dann lassen wir das für heute. Nur die Durchsicht bitte.“ Er meinte, 85 Euro sei immer noch günstig – in der Stadt koste es das Doppelte. Ich blieb dabei: keine Reinigung, nur Durchsicht.
Der Moment im Wartezimmer
Im Wartezimmer dann der Moment, der mich zum Nachdenken brachte. Voll besetzt. Menschen mit Migrationshintergrund, Smartphones in der Hand. Ich war offensichtlich der einzige mit Deutsch als Muttersprache. Als ich „Guten Morgen“ sagte, blickten einige kurz auf – befremdet. Zeitungen? Fehlanzeige. Ein Baumarkt-Katalog und ein altes Ärzteblatt, das war’s.
Um 10:10 Uhr war mir klar: Das dauert. Mein Fahrrad, ungesichert, wartete draußen in einer Gegend, in der man besser nichts unbeaufsichtigt lässt. Ich entschied, die Praxis zu verlassen. Sagte am Tresen Bescheid, dass ich später telefonisch einen neuen Termin mache. Der Mann war überrascht, ich erklärte das mit dem Fahrrad – und ging.
Beim Rausgehen dachte ich: Das war jetzt alles irgendwie merkwürdig. Vielleicht sollte ich mir einen anderen Zahnarzt suchen – einen, bei dem Deutsch in der Praxis die Standardsprache ist. Nicht, weil ich die Arbeit des bisherigen kritisiere, sondern weil ich mich fremd fühlte. Wenn ich in meinem eigenen Land eine Praxis betrete und nicht mehr in meiner Sprache angesprochen werde, dann frage ich mich: Ist das hier noch Deutschland?
Warum ich Merz’ Aussage nachvollziehen kann
Und genau deshalb kann ich die Gedanken von Friedrich Merz nachvollziehen.
Wenn ich dann im SPIEGEL lese, wie seine Aussage skandalisiert wird, denke ich: Die paar Protestierenden, die da auf die Straße gehen, sind prozentual betrachtet vernachlässigbar – verglichen mit den Massenprotesten in den USA gegen Trump. Merz sagt, was er denkt. Und ich denke ähnlich – ohne AfD zu wählen.
Ich spreche aus, was viele meiner Freunde, Verwandten und Bekannten denken, aber nicht sagen – aus Angst, als politisch inkorrekt zu gelten. Deshalb halte ich auch nichts von diesen Wahlumfragen, bei denen die AfD angeblich gleichauf mit der Union liegt. Wir machen da gar nicht mehr mit. Datenschutz, Seriosität – alles fragwürdig.
Wer überzeugter AfD- oder BSW-Wähler ist, hat kein Problem, das offen zu sagen. Die Wechselwähler der Mitte sind vorsichtiger, gebildeter, datensensibel – und schweigen. Deshalb sind diese Umfragen verzerrt. Vor 40, 50 Jahren waren sie aussagekräftiger.
Am Beispiel von Sahra Wagenknechts Bündnis ist das offensichtlich. Laut Umfragen sollte sie am Jahresanfang locker über 5 % kommen. Am Wahltag reichte es nicht für den Bundestag. Das zeigt: Wir müssen uns nicht vor der AfD fürchten – sondern vor einer Gesellschaft, die nicht mehr offen über Probleme spricht und vor Journalisten, die Aussagen von Politikern skandalisieren, um Schlagzeilen zu machen.
Warum sollte sich Merz verteidigen, wenn er genau weiß, dass die schweigende Mehrheit der Mitte so denkt wie er?

