Einleitung: Zwischen Leonardo da Vinci und der digitalen Jetztzeit
Der Vitruvianische Mensch, gezeichnet von Leonardo da Vinci um 1490, gilt als Inbegriff des Humanismus: Der Mensch als Maß aller Dinge, symmetrisch, ausgewogen, von Kreis und Quadrat umschlossen. Das Zentrum dieses Menschen liegt – anatomisch korrekt, aber symbolisch aufgeladen – im Becken. Fortpflanzung, Trieb, das Leibliche standen sinnbildlich für das Wesen des Menschen in einer Zeit, in der Religion, Natur und Kunst noch miteinander rangen.
Heute, über 500 Jahre später, würde der Mittelpunkt verlegt werden müssen: Nicht das Becken, sondern das Gehirn ist nun das Zentrum unseres Handelns. Und selbst dieses wird zunehmend von digitalen Mechanismen umkreist, beeinflusst, aktiviert – nicht mehr durch Planeten, sondern durch Push-Nachrichten, Microtargeting und algorithmische Köder. Der moderne Mensch ist nicht mehr das Zentrum – er ist Zielobjekt.
FOMO als neue Triebfeder: Was ist Fear of Missing Out?
FOMO (Fear of Missing Out) bezeichnet die ständige Angst, etwas zu verpassen. Im digitalen Kontext wird diese Angst durch soziale Medien, Newsfeeds und Notifications geschürt. FOMO ist kein flüchtiges Gefühl, sondern ein strukturierender Impuls. Es ist die treibende Kraft hinter dem Scrollen, Teilen, Klicken, Kommentieren. Eine neue Art der Abhängigkeit, subtil, aber äußerst wirkmächtig.
Der neue Vitruvianer: Ein Mensch im neuronalen Dauerfeuer
Ein Blick auf zeitgenössische Visualisierungen zeigt, was sich geändert hat. Die digitale Darstellung des „vermaschten“ Menschen legt den Fokus nicht auf die Genitalien, sondern auf ein leuchtendes Zentrum im Solarplexus oder gar im Gehirn. Dieser Mensch ist nicht mehr symmetrisch im Sinne der klassischen Geometrie, sondern im Sinne der Vernetzung. Jede Bewegung, jeder Gedanke wird registriert, bewertet, verortet.
FOMO als Steuerungsinstrument in Wirtschaft, Politik und Alltag
- In der Konsumkultur: Countdown-Verkäufe, „Nur noch 3 Artikel verfügbar“, „Diese Reise wird bald ausgebucht sein“. Der Konsument kauft nicht aus Bedarf, sondern aus Angst, zu spät zu kommen.
- In der politischen Kommunikation: Wahlkampagnen, die mit personalisierter Dringlichkeit arbeiten („Nur du kannst jetzt noch verhindern…“), nutzen FOMO-Trigger gezielt zur Mobilisierung oder Polarisierung.
- Im Bildungssystem: Permanente Vergleichbarkeit, Gamification und Rankings erzeugen ein Grundrauschen an Unsicherheit und Reizbarkeit. Digitale Lernplattformen messen Aufmerksamkeit in Sekundenbruchteilen.
Eine neue Ethik der Selbstbestimmung
Wenn der Mensch nicht mehr selbst denkt, sondern gedacht wird – was bleibt von Autonomie? Der neue Humanismus muss sich nicht gegen die Technik stellen, aber gegen ihre Entgrenzung. Informationssouveränität, wie ich sie als achte Kategorie im ICDL-Syllabus vorschlage, beginnt bei der Fähigkeit, FOMO zu erkennen und ihr zu widerstehen.
Fazit: Zurück zum Mittelpunkt – aber diesmal mit Bewusstsein
Der Mensch im digitalen Zeitalter ist kein freischwebender Geist, aber auch kein triebgesteuertes Wesen mehr. Er ist durch Aufmerksamkeit lenkbar geworden. Die Kunst besteht darin, diesen „inneren Mittelpunkt“ neu zu definieren: Zwischen Kopf, Herz und Bildschirm.
Eine zeitgemäße Version des Vitruvianischen Menschen würde heute nicht mehr das Quadrat und den Kreis brauchen, sondern eine Matrix aus Licht, Daten und Absicht. In deren Zentrum müsste nicht der Körper, sondern das Bewusstsein stehen.
Nur wer versteht, warum er klickt, kann sich entscheiden, es nicht zu tun.
Konrad Rennert, Juni 2025
Konzept & Idee: Konrad Rennert
Umsetzung: KI-generiert mit Unterstützung von ChatGPT-4 (OpenAI)
Datum: Juni 2025
Lizenz: Creative Commons CC BY4.0
Hinweis: Darstellung im Rahmen des Projekts Klarblick zur Aufklärung über digitale Selbstverteidigung und algorithmische Manipulation.


