Dieter Hoppe ist am 16. Oktober 2025 im Alter von 89 Jahren verstorben.
Auf der Trauerseite der HNA ist sein Name zwischen Geburts- und Sterbedatum zu lesen, darunter ein Video mit zwei Händen vor der untergehenden Sonne. Dieses Bild zeigt gut, worum es in seinem Leben ging: um Verbindung – zwischen Generationen, Nationen, Konfessionen und Erinnerungen.
Das Titelbild zu diesem Beitrag bringt zwei Seiten seines Wirkens zusammen:
Links der vollständige Leserbrief „Luther, der größte Antisemit und größte Hetzer aller Zeiten?“, rechts die Videoanzeige für Dieter Hoppe. Auf der einen Seite der unbequeme, gründlich belegte Widerspruch gegen das Wegsehen vor Luthers Judenfeindlichkeit, auf der anderen Seite die stille Würdigung eines Menschen, der sein Leben lang gegen das Vergessen angeschrieben hat.
Wie alles begann: Vom Großmarschall zur Online-Verlagsarbeit
Unsere Zusammenarbeit startete lange bevor „digitale Archive“ zum Modewort wurden.
Vor rund siebzehn Jahren habe ich auf dem Heiligenberg-Blog den ersten Text von Dieter veröffentlicht: einen Beitrag über Otto Philipp Braun, Großmarschall von Montenegro. Er lieferte mir ein fertig recherchiertes Manuskript, ich kümmerte mich um Formatierung, PDF, Einbindung ins Blog und die Auffindbarkeit im Netz. Aus diesem einmaligen Gefallen wurde über die Jahre so etwas wie eine dauerhafte Online-Verlagsarbeit.
Dieter nannte mich später seinen „Online-Verleger“. In Wahrheit war es eine klassische Arbeitsteilung:
Er brachte als Oberstudienrat i.R. die Inhalte, ich brachte die Infrastruktur als „Websitekümmerer“ für diverse Websites.
Esszimmertisch, USB-Stick und „fünfeinhalb Megabyte Geschichte“
Wenn ich an ihn denke, sehe ich keinen Serverraum, sondern eine Kaffeetafel in Melsungen. Seine Frau hatte Kaffee und Kuchen vorbereitet, wir redeten erst über Politik, Schule, Kirche und aktuelle Zeitungsthemen. Irgendwann wechselten wir ins Arbeitszimmer – und dann kam mein USB-Stick für den Datentransport zum Einsatz.
Darauf lagen danach „Megabyte erlebter Geschichte in Text und Bild“, wie ich einen Blogbeitrag überschrieben habe: handschriftliche Notizen, eingescannte Dokumente, Fotos, Zeitungsartikel, sorgfältig sortiert in Ordnern. Aus diesem Material entstanden Texte über:
- Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg und seine Erinnerungen als evakuiertes Kriegskind,
- die ersten Jahre des Kalten Krieges,
- Interzonen-Reisegenehmigungen mit tödlichen Stolperfallen,
- Theresienstadt, Moral Bombing, Namensänderungen und vieles mehr.
Dieter war kein Historiker im akademischen Sinne, aber ein geradezu pedantischer Sammler und Prüfer von Quellen. Jede Jahreszahl musste stimmen, jede Zuschreibung klar sein. „Es könnte später noch jemand forschen“, sagte er oft – dann solle der sich bitte auf seine Angaben verlassen können.
Der Luther-Leserbrief: Zivilcourage in gedruckten und digitalen Spalten
Ein Höhepunkt – und zugleich ein Stein des Anstoßes – war der Leserbrief „Luther, der größte Antisemit und größte Hetzer aller Zeiten?“, den die HNA auszugsweise abdruckte. Darin kritisierte Dieter den oberflächlichen Umgang mit Luther und dessen antijüdischen Schriften. Er bezog sich sowohl auf historische Quellen als auch auf aktuelle Stellungnahmen von EKD und Zentralrat der Juden.
Im Heiligenberg-Blog habe ich seinen Text ungekürzt veröffentlicht.
Das war kein Zufall: An anderen Stellen wurde aus Platz- oder Rücksichtnahme gern entschärft, gekürzt oder vorsichtig umformuliert. Auf dem Blog wollten wir zeigen, wie seine Argumentation wirklich aufgebaut ist – mit allen Fußnoten, Quellenangaben und den zugespitzten Formulierungen, die in Leserbriefspalten oft keinen Platz finden.
Wenn heute im Titelbild links dieser Leserbrief zu sehen ist und rechts die Traueranzeige, dann macht dieses Nebeneinander deutlich: Dieter Hoppe wollte kein harmonisiertes Andenken, sondern ehrliche Auseinandersetzung – auch mit der eigenen Kirche und Tradition.
Erinnerungskultur ohne Weichzeichner
Wer seine Texte auf dem Heiligenberg-Blog durchgeht, erkennt ein durchgehendes Leitmotiv: Erinnerung ohne Weichzeichner.
- In den Beiträgen zur Zwangsarbeit schildert er die Ambivalenz des Alltags auf einem Bauernhof mit ukrainischen und weißrussischen Zwangsarbeitern: Nähe, Abhängigkeit, Unrecht – und das Schweigen nach 1945.
- In „Dieter Hoppes ungekürzte Beiträge“ dokumentieren wir Texte, die anderswo nur stark modifiziert erschienen oder gar nicht veröffentlicht wurden – etwa zur Rolle von Theresienstadt im kollektiven Gedächtnis.
- In „Einladung vom Präfekten“ erzählt er, wie aus einem Text über die Kriegsgefangenschaft seines Vaters ein Kontakt zu einer französischen Gedenkstätte entstand und wie offen dort mit eigener Schuld umgegangen wird.
Dieter sah sich nicht als Ankläger, sondern als Zeuge. Aber als einen, der nicht bereit war, die eigene Geschichte zu beschönigen, nur weil sie schwer auszuhalten ist.
Weltweite Spurensuche: von Melsungen nach Südafrika und Namibia
Sein Horizont reichte weit über Nordhessen hinaus.
- In einem ausführlichen Bericht über eine Reise einer Melsunger Kirchengemeinde nach Südafrika beschreibt er Museumsbesuche, den „Tag der Versöhnung“ und Begegnungen mit Menschen, die unter Apartheid gelitten haben. Die Fragen nach Schuld, Verantwortung und Versöhnung waren ihm aus der deutschen Geschichte vertraut – nun begegneten sie ihm in einem anderen Land.
- Gleichzeitig unterstützte er einen kleinen Verlag in Namibia bei der Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“. Auch hier: kein schneller Abgleich von Schuldquoten, sondern genaues Hinsehen.
Diese Texte zeigen, dass seine Erinnerungsarbeit nie provinziell war. Sie begann zwar in der Melsunger Altstadt, aber sie endete nicht an der Stadtgrenze.
Theologie, Zweifel und die historische Person Jesu
Als gläubiger Christ setzte sich Dieter intensiv mit der eigenen Tradition auseinander – auch dort, wo es unbequem wurde. Auf dem Heiligenberg-Blog finden sich mehrere Texte, in denen er:
- Luthers Schriften zu den Juden analysiert,
- die historische Person Jesu in den Blick nimmt,
- und kritisch fragt, wie viel Legende, Machtpolitik und Zeitgeist in unseren Bildern von Kirche und Glauben stecken.
Diese Beiträge sind keine akademischen Aufsätze, sondern gut lesbare, aber kenntnisreiche Einladungen zum Mitdenken. Sie machen deutlich: Glaube und Zweifel sind für ihn keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Verantwortung.
Analoger Forscher, digitale Infrastruktur
In meinen eigenen Texten habe ich ihn oft als Beispiel dafür genannt, wie ältere Menschen die Chancen der Digitalisierung nutzen können, ohne sich verbiegen zu müssen. Dieter schrieb seine Texte mit den Werkzeugen, die ihm vertraut waren – ich sorgte für:
- Webserver, WordPress und Sicherheitsupdates,
- das Einbinden seiner PDFs,
- die Verschlagwortung und Auffindbarkeit,
- und Einweisungen in die Grundlagen, wenn er selbst kommentieren oder Dateien hochladen wollte.
Auf meiner Website habe ich diese Rolle einmal als „Website-Kümmerer“ beschrieben. Beim Heiligenberg-Blog steht ausdrücklich, dass der Inhalt „zum großen Teil von Dieter Hoppe beigesteuert“ wird. Das war uns wichtig: Klarzustellen, dass hier kein anonymer Redaktionspool schreibt, sondern ein Mensch mit Gesicht, Biografie und Haltung.
Was bleibt – und wem dieser Text gewidmet ist
Mit seinem Tod ist eine Stimme verstummt, die vielen vertraut war:
- ehemaligen Schülerinnen und Schülern,
- Weggefährten aus Kirche und Kommunalpolitik,
- Menschen, die seine Leserbriefe in der HNA und seine Beiträge auf dem Heiligenberg-Blog verfolgt haben,
- und nicht zuletzt seiner Frau und seinem persönlichen Umfeld.
Die digitale Spur, die er hinterlassen hat, wird bleiben. Seine Texte, PDFs und Leserbriefe sollen weiterhin zugänglich sein – als Material für Unterricht, Forschungsarbeiten und persönliche Auseinandersetzungen mit Geschichte und Glaube.
Ich bin dankbar für die Jahre unserer Zusammenarbeit, die vielen Gespräche am liebevoll von seiner Frau Irmgard gedeckten Kaffeetisch, die sorgfältig gewählten Dateinamen und die gemeinsame Entscheidung, nichts unnötig zu glätten.
Dieser Beitrag ist Dieter Hoppe gewidmet –
und seiner Frau, die all seine Arbeit mitgetragen hat und die Datenübergabe zu einem anregenden Besuch machte.
Möge das, was wir hier gemeinsam ins Netz gestellt haben, noch lange weiterwirken – so, wie sie es sich gewünscht haben könnten: ehrlich, nachvollziehbar und ohne Weichzeichner.
Konrad Rennert – mit Assistenz von KI
Ohne KI wäre dieser Nachruf nicht geschrieben worden, weil eine seriöse Zusammenfassung im Sinne von Dieter Hoppe am Zeitaufwand gescheiter wäre
PS: Die ca. 70 Beiträge in der Zusammenarbeit mit Dieter Hoppe passen zum heutigen Tag, dem 9. November 2025, dem Jahrestag der Pogromnacht vor 87 Jahren und dem Mauerfall vor 36 Jahren, und sind mit folgender Suche zu finden: https://heiligenberg-blog.de/?s=Hoppe. Die Reisefreiheit für Flüchtlinge wurde auch damals beschnitten, wie Hoppe in der Veröffentlichung „Ein fehlendes J im Reisepass machte ihn ungültig und brachte den Tod“ beschrieb. Plötzlich wurden Menschen ausgegrenzt, wie der Weg bis zur Ermordung eines Lehrerkollegen zeigt: https://heiligenberg-blog.de/verfolgung-oder-vertreibung.
Hoppe hatte in der „Prä-KI-Zeit“ um 2015 noch keine digitalen Assistenten. Es gab auch noch keine fast fehlerfreien Übersetzungsprogramme wie DeepL. Daher hat sich Dieter die Mühe gemacht, seine Abhandlung mit Hilfe eines ehemaligen Englischlehrers und Kollegen zu übersetzen: https://heiligenberg-blog.de/wp-content/uploads/2015/10/Lehrer-Dillhoff-dt-engl.pdf
Seine letzte Veröffentlichung auf der Website war durch eine oberflächlichen Berichterstattung unserer Lokalzeitung inspiriert. Er fand das unpassend und setzte sich in seinem präzisen Stil damit auseinander: https://heiligenberg-blog.de/dieter-hoppe-ueber-luthers-einstellung-zu-den-juden

