Prospektion, besonders die seismischen Verfahren werden schon lange in der Geophysik und in der Archäologie eingesetzt. Jetzt wird die Analyse der Wellenausbreitung im Internet auch bei Twitter weiter verfeinert, um neue Einnahmequellen sprudeln zu lassen. Die Prospektion setzt bei den alten Twitter-Daten an und lässt Szenarien anhand von Milliarden Nutzerdatensätzen, den Tweeds, präzise vorausberechnen.
Im FAZ-Feuilleton wird der Zugriff auf die Datenbank des Denkens und Fühlens behandelt. Neue Chancen und Manipulations- möglichkeiten durch Datenexploration sind jetzt sichtbar. Spekulanten an den Börsen oder im Politgeschäft wird das ebenso aufhorchen lassen wie Menschen mit Personalverantwortung in Firmen oder Organisationen.
Geophysiker wissen, wie mit natürlichen oder künstlichen Erdbeben die Erde erforscht werden kann: Nach der Analyse der aufgezeichneten seismischen Wellen weiss man dann genau, wo nach den Lagerstätten für Öl und Gas gebohrt werden muss. Mit den Rechnungen über die Beschaffungen der zurückliegenden Jahre kann man dann bei Unternehmen wie der Kasseler Wintershall auch schon ziemlich genau sagen, was eine noch zu errichtende Bohrplattform kosten wird, bis endlich das erste Barrel Öl von dort in der Pipeline ist.
Bei der beschriebenen Twitter-Seismik schwankt kein Untergrund infolge von Erdbeben. Hier beben Tweeds
Auslöser waren Unruhen an Börsen, Aufständen in Arabien, Demonstationen gegen Stuttgart 21 und ACTA. Aus vorhandenen und den täglich neu hinzukommenden 250 Millionen persönlichen Kurznachrichten filtert man das gewünschte Profil aus den Archiven der letzten Jahre heraus. Man verfolgt die alten Wellenschläge, um die medialen Tsunamis nach dem Erkennen des nächsten auslösenden Ereignisses richtig vorherzusagen.
Die Wellen überrollen die Auftraggeber der Analyse nicht unvorbereitet.
Zynische Chefredakteure könnten mit gekauftem Insiderwissen die Wellenausbreitungen so geschickt auslösen, dass die gewünschte Amplitude vorteilhaft für die Auflage und den Umsatz ist. Die Auswertung der medialen Anomalien bei Wulff, zu Guttenberg, Fukushima, Stuttgart 21 und ACTA erlauben die Vorausberechnung der Stärke und der regionalen Ausdehnung der nächsten „Shitstorms“ im Web.
Börsenspekulanten sind sicher auch an kursrelevanten Twitter-Shitstorms der Vergangenheit interessiert.
Falls die ausgelöste Wellenhöhe dann doch noch nicht reicht, kann man die Amplitude steigern, indem gesammelter medialer Sprengstoff nachgelegt wird, damit der Rubikon doch noch rechtzeitig überschritten wird.
Unternehmen wie Wintershall könnten sich zum Beispiel für die Twitter- und Facebook-Datenanalyse zum arabischen Frühling in Libyen interessieren und die in der Folge dort erlittenen Verluste durch Produktions- und Materialschäden in den Ölfeldern modellieren.
Der Vorstand könnte dann später eine Hochrechnung veranlassen, wenn sich der „Twitter-Seismograph“ in Saudi-Arabien regt und eine Wiederholung der revolutionären Ereignisse in Erdölländern mit vergleichbaren Bedingungen andeutet. Maßnahmen zur Schadensbegrenzung könnten frühzeitig eingeleitet werden … Anlagen leerfahren bevor die ersten Granaten einschlagen, Mitarbeiter evakuieren, Wiederaufbautrupps zusammenstellen….
Der bei Wintershall sichtbare Slogan „We know how to read answers from the depths“ gilt dann nicht nur zur Analyse tiefer Erdschichten.