Prolog
Ein erfundenes, aber dennoch realistisches Fallbeispiel zeigt den Bedarf:
Hallo Alexa! Unsere Tochter macht gerade Abitur in Aurich und möchte danach BWL studieren. Nach der Bachelor Prüfung in Deutschland möchte sie mindestens zwei Semester in Shanghai studieren. Zur Einschreibung an der Uni muss sie die Stufe HSK5 des Hanyu Shuiping Kaoshi nachweisen. Das entspricht der Niveaustufe C1 des Europäischen Referenzrahmens für Fremdsprachen. An welcher VHS bei uns in Ostfriesland kann Sie ab sofort Chinesisch-Unterricht besuchen und die ersten HSK-Prüfungen ablegen?
Alexa antwortet: Hier in Ostfriesland gibt es keine VHS mit passenden Vorbereitungskursen für den Hochschulzugang in China. Aber in Kassel hinter den 7 Bergen in der Heimat der Brüder Grimm gibt es ein Angebot für Chinesisch bis HSK 5 mit der Kursnummer Y4650 für 109 €. Die Kurse beginnen am Freitag dem 14.2. 2020 um 15 Uhr und enden am 19. Juni 2020.
Alexa! Wie kommt unsere Tochter nach Kassel?
Alexa antwortet: Mein Tipp basiert auf den mir bekannten Daten aus Ihrem Haushalt: Weil Ihre Tochter in der Fridays for Future Bewegung aktiv ist, empfehle ich die umweltschonende Anreise mit der Bahn. Die VHS in Kassel liegt an der gleichen Straße wie der ICE-Bahnhof. Sie reist in ca. 5 Stunden an und benötigt ebenso 5 Stunden für die Rückfahrt, falls Sie die Anschlusszüge beim Umsteigen rechtzeitig erreicht. Mit einer Bahncard 50 für die 2. Klasse kostet jede Rückfahrkarte ca. 100 Euro. Mit der an Freitagen zu empfehlenswerten Sitzplatzreservierung oder der Fahrt in der 1. Klasse kann sie die 10 Stunden für An- und Abfahrt sinnvoll nutzen. Die empfehlenswerte Bahncard 1. Klasse kostet 515 Euro, Die Rückfahrkarte nach Kassel kostet jeweils 150,80 Euro.
Danke Alexa: Unter diesen Bedingungen scheidet der VHS-Besuch in Kassel wohl aus. Aber sag Alexa, gibt es nicht auch bei Amazon Buchungsmöglichkeiten für Online Sprachkurse?
Alexa antwortet: Bei Amazon gibt es viele Tausend Angebote zum Erwerb guter Materialien für das Lernen von Fremdsprachen aber leider nichts, was den Unterricht in einem Klassenraum ersetzen kann.
Fazit des Autors: Derartige unbefriedigende Recherchen zur Bildung und Weiterbildung zeigen einen Bedarf, der von Volkshochschulen in einer Kombination aus Videokonferenzlösungen und Lernplattform befriedigt werden kann. Für die Teilnehmer an Videokonferenzkursen im Umfang des Fallbeispiels fallen während der Kursdauer nur wenige Euro für die Kosten der Technik an.
Was sind die Aufgaben einer VHS 2.0?
Sie organisiert das Angebot an Weiterbildung ähnlich wie das mit Waren auf einem Online-Marktplatz geschieht.
Die Kreisvolkshochschulen sind die Tante-Emma-Läden im Bereich der Weiterbildung. Dort wird Weiterbildung von lokal ansässigen Kursleitern angeboten. Abgerufen werden Kursangebote, wenn es auf Landkreisebene eine ausreichende Teilnehmerzahl gibt.
Die Datenbank-gestützte VHS 2.0 funktioniert wie ein gemeinnütziges Amazon der Weiterbildung. Dort wird bereitgestellt, was im ganzen Sprachraum an Bildungsangeboten von freiberuflichen Kursleitern verfügbar ist. Die Weiterbildungsangebote der VHS 2.0 besucht man aus dem Home-Office. Das setzt neben der allgemein üblichen PC-Ausstattung nur eine übliche DSL-Internetverbindung voraus. Denkbar ist fast jedes Weiterbildungsangebot, welches nach der formalen Bildung in Schule, Hochschule oder Berufsschule für das Lebenslange Lernen von Bedeutung ist. Der betrachtete Zeitraum umfasst die 4 bis 6 Jahrzehnte nach dem Ende formaler Bildung. Die formale Bildung beginnt im Kindergartenalter und endet gewöhnlich im Alter von 20 bis 30 Jahren. Danach steht für Jahrzehnte die Weiterbildung an, die sich meist am Bedarf für die ausgeübte Tätigkeit orientiert. Die Angebote von Freiberuflern und Firmen sind in 170 Weiterbildungsdatenbanken katalogisiert. Wahrscheinlich befragen viele Interessenten jedoch die Suchmaschine Google oder einen digitalen Assistenten.
Im Volk allgemein bekannt ist lediglich die Marke „Volkshochschule“ bzw. VHS. Diese Bekanntheit gilt es zu nutzen. Das erscheint in der gewohnten Form auf Kreisebene nicht zielführend. Tante Emma kann mit ihrem Laden kaum global konkurrieren, selbst dann nicht, wenn sie Tante Annegret als Präsidentin ihrer übergeordneten Handelskette wählt, weil sie Erfahrung als Ministerpräsidentin, Parteivorsitzende und Verteidigungsministerin hat.
Ideal als Leiter wäre ein auf Gemeinnutzen gepolter Jeff Bezos der eine Datenbank für die Weiterbildung organisieren könnte, die ähnlich funktioniert wie die allgemein bekannte Amazon Datenbank:
Das VHS 2.0-Warenangebot besteht aus digitalen Datenblättern für die Weiterbildungskurse. Zu jedem Kurs gibt es Schnupperkurstermine, damit sich potenzielle Kursteilnehmer einen Eindruck verschaffen können. Wer mitmachen möchte, kann am Ende gleich buchen oder sich in eine elektronische Liste eintragen, damit eine Benachrichtigung erfolgt, sobald die Mindestteilnehmerzahl erreicht ist und der Kurs starten kann.
Weil VHS 2.0 Teilnehmer aus dem gesamten Sprachraum kommen, ist es sogar wahrscheinlich, dass sich in kürzester Zeit selbst für ungewöhnliche Kurse wie Mandarin Chinesisch für Manager oder Comic-Zeichnen für Fortgeschrittene eine ausreichende Teilnehmerzahl findet.
Entscheidend für die Qualitätssicherung und den Empfehlungscharakter der Weiterbildungsangebote ist die Datenbank. Wer würde bei Amazon etwas kaufen, wenn eine Ware nur mit wenigen Sternen ausgezeichnet ist, und viele kritische Kommentare beigefügt sind? Das Produkt würde umgehend entfernt. Warum sollte das bei Weiterbildung nicht genauso funktionieren?
Die Produzenten einer Ware kalkulieren den Preis und schlagen bei der Preiskalkulation schon den Teil darauf, den sie als Abgaben an den Staat und als Gebühr an den Marktplatzbetreiber Amazon abführen müssen. Preiswert ist, was seinen Preis wert ist. Warum sollte diese Erkenntnis nicht auch für den Preis für Weiterbildungsangebote gelten.
Kreisvolkshochschulen haben kaum diese Freiheit. Das Honorar für Töpfer- und Häkelkurse unterscheidet sich kaum von dem des Kursleiters, der in der Sternwarte den Urknall erklärt oder die „1 zu 1“, die „1 zu N“ oder die „M zu N“ Verknüpfungen sowie die Referenzielle Integrität bei relationalen Datenbankmodellen. Die letztgenannten Kurse werden in der Tante-Emma-VHS wohl kaum in Ostfriesland, der Lausitz oder der Uckermark angeboten, möglicherweise aber an den VHS, an deren Standort zufällig eine Elite-Hochschule ihren Sitz hat und junge Akademiker ohne Vollzeit-Festanstellung einen Nebenjob ausüben müssen.
Die VHS 2.0 beseitigt mit der Kombination aus Videokonferenz und Lernplattform diese ungleichen Möglichkeiten beim Zugang zur Weiterbildung. Jeder Kursleiter kann Angebote machen, jeder potenzielle Teilnehmer kann für die persönliche Weiterbildung nach Maßnahmen recherchieren und sehen, wie gut andere die Angebote beurteilt haben.
Ideale Träger einer gemeinnützigen VHS 2.0 gGmbH wären Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, weil gute Weiterbildungsangebote die globale Wettbewerbsfähigkeit unseres Volkes sichern.
Das hört sich logisch an und man fragt sich, warum das nicht schon früher geschehen ist. In seinem sehr lesenswerten Vortrag spricht Andreas Voßkuhle von einem Flickenteppich, infolge der föderativen Zuständigkeiten bei Bildung und Weiterbildung. Ich habe vereinfachend den Begriff „Tante Emma VHS“ eingeführt. Aus dem Tante-Emma Bereich kenne ich einige, die mir bei der Analyse geholfen haben, aber niemand von ihnen würde seine Stellung riskieren und ein Manifest verfassen, was als Nestbeschmutzung oder Beihilfe für die Mitbewerber interpretiert werden könnte. Wenn man wie ich die 65 überschritten hat, hat man keine Angst mehr vor einem Karriereende wegen unerwünschter Kritik am Arbeitgeber. Der Begriff „Empowerment“ kam ebenfalls im Vortrag von Andreas Voßkuhle vor. Angesichts der geburtenstarken Jahrgänge könnte es viele gut gebildete Ruheständler geben, die Empowerment verspüren und ihre jahrzehntelange Erfahrung im Rahmen einer VHS 2.0 weitergeben, z.B. an ein bis zwei Tagen pro Woche per Videokonferenz aus ihrem mobilen Home-Office.
Manche Tante-Emma-Läden können überleben, weil sie als Annahmestellen für Post und Pakete partizipieren und damit Einnahmen aus dem Umsatz der Versender wie Amazon &Co generieren.
Solche Kooperationen kommen auch bei der Weiterbildung in Frage. Die Ersteinweisung in Videokonferenz und Lernplattform könnte in den „Tante-Emma-VHS“ erfolgen. Dort benötigt man ein mit leistungsstarkem WLAN-ausgestatteten Raum als Anlaufstelle. Auf den Tischen bauen die Teilnehmer ihre mitgebrachte Hardware auf, d.h. Notebook, Tablet und Smartphone. Ein Fachinformatiker oder ein Mitarbeiter mit vergleichbaren Kenntnissen unterstützt die Kunden der VHS 2.0 bei den ersten Videokonferenzen und stellt den geeigneten Zeitpunkt fest, wann die Online-Kurse im Home-Office fortgesetzt werden können. Ein weiteres Feld für Zusammenarbeit zwischen VHS 1.0 und 2.0 resultiert aus dem Bedarf an Zertifizierungen für die erworbenen Kompetenzen. Das Home-Office ist für vieles geeignet, nicht jedoch als Prüfungsraum für anerkannte Zertifikate. Dieser Raum muss klassisch ausgestattet sein und von qualifizierten Aufsichtspersonen überwacht werden, während die Prüfungskommission von anderen Standorten die Prüfung per Videokonferenz durchführt oder ein automatisches Prüfungssystem gestartet wird.
Wie kann man beginnen?
Eine klassische VHS führt eine Ausgründung durch und prüft vorhandene eCommerce-Plattformen auf Tauglichkeit für gemeinnützig organisierte Weiterbildung. Amazon kassiert als profit-orientierter Marktplatz für Waren 7 bis 15 % der auf seiner Plattform generierten Umsätze. Das deckt alle notwendigen Dienstleistungen rund um den Vertrieb von Waren, d.h. auch Reklamationen, Qualitätsmanagement und die Bezahlung der Ware ab. Die VHS-Ausgründung sollte für die Vermarktung und Qualitätskontrolle von Weiterbildung nicht über den Amazon-Tarifen liegen, sonst würde das Bedeuten, dass öffentliche und gemeinnützige Anbieter schlechter performen als die private Wirtschaft.
Wo kann ich bei der Umsetzung assistieren?
Wie man im Profil auf meiner Website sieht, habe ich jahrzehntelange Erfahrung in der Weiterbildung bei namhaften Unternehmen gesammelt und konnte auch im Alter von 62 Jahren eine Prüfung als E-Learning-Trainer mit der Note 1,1 abschließen, um meine Unterrichtswirksamkeit in Sachen Online-Weiterbildung zu dokumentieren. Seit drei Jahren arbeite ich regelmäßig als freier Mitarbeiter für ein Karlsruher Unternehmen, welches eine spezielle Videokonferenzlösung entwickelt hat, um damit Seminare im Bereich der geförderten Weiterbildung durchzuführen. Der Hauptkunde dieses Unternehmens ist die Bundesagentur für Arbeit. Die Videokonferenz-Software ist damit für die von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Kurse brauchbar, weil das damit arbeitende Unternehmen nach AZAV zertifiziert ist. Die monatlichen Lizenzkosten für die Videokonferenzlösung werden pro Teilnehmer voraussichtlich unter einem Euro liegen.
Eine VHS 2.0 kann mit Sicherheit damit rechnen, dass viele freiberufliche Kursleiter mit Videokonferenzerfahrung kurzfristig Aufträge übernehmen, um die klassisch arbeitenden Kursleiter mit der Software für Online-Präsenzschulungen einzuarbeiten.
Viele Dozenten mit Erfahrung in Online-Präsenz-Kursen sind bereit, ihren neuen Kollegen als Mentoren bei deren ersten Online-Kursen im virtuellen Klassenraum beizustehen. Jeder neue Online-Dozent hat am Anfang gelegentlich Rat gesucht, um sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen.
Ich assistiere gern, wenn
- professioneller Präsenzunterricht im Online-Seminarraum per Videokonferenz gemacht werden soll,
- wobei die Kursteilnehmer barrierefrei von zuhause teilnehmen können
- und ein digitalisiertes und überregionales Kursangebot auf der vhs.cloud zur Vernetzung der Teilnehmer bereitgestellt wird
Das Ganze könnte VHS 2.0 genannt werden, weil Kreisvolkshochschulen nicht für überregionale Weiterbildungsangebote ausgelegt sind.
Epilog
Ein erfundenes, aber dennoch realistisches Happy-End zeigt wie es sein könnte:
Die Abiturientin aus Aurich bucht die Chinesisch-Kurse der Kasseler VHS in der Variante als Online-Live-Schulung. Sie fährt mit Ihrem Notebook samt neuem Headset zur Ersteinweisung mit dem ICE nach Kassel. Bei chinesischem Tee und Mondkuchen lernt man sich kennen und hat so bei den nächsten Videokonferenzen einen persönlichen Eindruck, wenn man die Mitschüler in Bild und Ton beim Chinesisch-Lernen auf dem Monitor hat.
Weil die Videokonferenzlösung nicht nur während der vom Kursleiter geleiteten Unterrichtseinheiten läuft, kann man sich jederzeit mit Mitschülern verabreden. Die bereitgestellten Lernmaterialien in der vhs.cloud eignen sich hervorragend für die Gruppenarbeit. Gemeinsam bereitet man sich auch auf Basis des YouTube-Kanals „Mandarin Corner“ auf die Prüfungen vor, die über das Konfuzius Institut in Frankfurt koordiniert werden.
Ganz ohne Reisen geht es trotz Videokonferenzen auch in der VHS 2.0 nicht. Zumindest für die Einweisung am Beginn und bei der Prüfung am Ende ist echte Anwesenheit erforderlich.
Da kommt die Bahn in Spiel: Weil Bildung, Bewusstsein für die Umwelt und Bahnfahren hervorragend zusammenpassen, erklärt sie sich bereit, den Teilnehmern zu vergünstigten Bedingungen eine Bahnrückfahrkarte 1. Klasse zu verkaufen, wenn sie zu Ersteinweisungen oder Prüfungen im Rahmen der VHS 2.0 Kurse reisen. Auf vielen Bahnhöfen und auf manchen Bahnstrecken gibt es freies Wlan. Für zuverlässig funktionierende Videokonferenzen wird die Performance noch nicht ausreichen. Für die Nutzung der Materialien in der Cloud ist es brauchbar.
PS: Entschuldigung für den Tante Emma-Vergleich
Ich bitte meinen Schulkameraden Werner und einige Ansprechpartner aus der Leitung von Volkshochschulen, mir den Vergleich mit den Tante-Emma-Läden zu verzeihen. Ich habe ihn nur wegen den Analogien bei der Vermarktung von Waren und Dienstleistungen gewählt. Niemand will auf die aus Tante-Emma-Läden gewohnte persönliche Ansprache komplett verzichten. Kaum jemand will jedoch auch auf den Komfort bei Online Transaktionen verzichten. Weiterbildung wird in Zukunft verstärkt Online gehen. Es kommt jetzt auf die VHS an, ob sie ihre bekannte Marke in angemessener Form für die Weiterbildung nutzen wollen und sich eine bundesweite zentrale Plattform für die VHS 2.0 einrichten. Die vhs.cloud ist bereits ein guter Anfang, EduDip als Videokonferenzlösung ist leider ein Fehlgriff für die meisten der denkbaren Angebote. Getestet werden sollte jetzt, was an anderer Stelle bewährt ist und für den Alltagseinsatz in Frage kommt. Nach dem erfolgreichem Test sollte die vorgeschlagene Lösung kurzfristig und flächendeckend eingesetzt werden können.